Bildnachweis: Christian Coenen für die EKD
Liebe Besucher unserer Seiten,
die Herbstnebel wabern, und das leuchtende Orangerot der an den Straßen strategisch aufgehäuften Kürbisstapel erinnert daran, dass uns bald wieder ein wenn auch extrem abgespecktes Halloween-Spektakel ins Haus steht. Dieses Jahr ist allerdings ein stacheliger Virusball auf den Straßen unterwegs, der die Menschen weit mehr ängstigt und beeinträchtigt, als es jedes kleine Skelett an der Tür je vermöchte. Alljährlich kommt wieder die Frage auf, wie wir eigentlich zu diesem Fest stehen sollen, das mit unserem gerne ignorierten Reformationstag zusammenfällt, dem Tag also, an dem wir des Anschlags der 95 Thesen Martin Luthers in Wittenberg gedenken und damit einem Prozess der selbstkritischen Reinigung huldigen, dem lutherischen Selbsterforschen des Kurses – des eigenen und des unserer Kirche. Wenn wir nun Luther zu Corona befragen könnten, würde er den unsichtbaren Virus vermutlich als des Teufels bezeichnen. Er litt an der für ihn unverständlichen Meniere-Krankheit und nahm die Anfälle von Schwindel und Unwohlsein als höchst unnatürlich wahr. 1530 schreibt er: „Ich acht, es sei der schwarze zoticht Geselle aus der Höllen gewest, der mich in seinem Reich auf Erden nicht wohl leiden mag“." Aber auch andere Anfechtungen gesundheitlicher Art machten ihm das Leben schwer: Gichtanfälle, quälende Verstopfung (am 12. Mai 1521 auf der Wartburg schreibt er an Melanchthon: „Der Herr hat mich im Hintern mit großem Schmerz geschlagen. So hart ist der Stuhlgang, dass ich gezwungen werde, ihn mit großer Kraft bis zum Schweißausbruch herauszustoßen…..Gestern habe ich nach vier Tagen einmal ausgeschieden.“ und auch Angina pectoris, gestorben ist er wohl auch an einem Herzinfarkt. Und obgleich er seine Krankheiten als unnätürlich sieht, ist da doch der Kämpfer: " ich jag den babst, cardinal, bischoff, thumbherrn und monch" heißt es in den Tischreden, und nur mit Mühe kann man "Junker Jörg" von dem Vorhaben abhalten, in die Universitätsstadt Erfurt zu reisen, um medizinische Hilfe zu suchen, denn dort wütet die Pest, ihm ists jedoch egal. Also darf man wohl daraus ableiten, dass es lutherisch wäre, über alles, was mit Corona zusammenhängt, gesund und höchst weltlich zu schimpfen, sich davon aber eben auch nicht unterkriegen zu lassen.
Doch kommen wir zu Halloween zurück. Luthers Schäflein waren weit davon entfernt, "pure Religion" zu pflegen. Viele alte Bräuche und viel Aberglauben waren in der Bevölkerung vorhanden und wären kaum auszumerzen gewesen. Ein echtes Problem haben wir Protestanten daher auch nicht mit dem Spektakel. Zum einen liegt es in der menschlichen Natur, sinnliche Erlebnisse kalter Intellektualität vorzuziehen, weswegen die reale Ausübung von Religion mit vielerlei bisweilen unreflektierten Gebräuchen durchsetzt ist, die nicht wirklich kanonisch sind. Dazu zählen Weihnachtsbaum und rote Ostereier (Achtung: heidnisches Fruchtbarkeitszeichen) ebenso wie die beliebten Plastikflaschen in Marienform mit Weihwasser aus Lourdes in katholischen Haushalten oder das stille Holen von Osterwasser junger Frauen in der sorbischen Kultur. Kaum jemand kann sich Weihnachten und Ostern ohne die damit verbundenen gewohnten Bräuche vorstellen. Andererseits ist Halloween nur ein beliebtes Spektakel, ein Volksfest, jedoch ohne innere Bindung an die Ursprünge des heidnischen Samhain, das den Winteranfang markierte und sich der Abwehr von Geistern widmet, die Familie und Ernte gefährden könnten. Gewiss, da sind auch die Neo-Paganisten, die den Kirchen den Rücken kehren und direkt hier, mitten im 21. Jahrhundert und mit dem Handy in der Tasche, sehr alte heidnische Rituale wiederentdecken möchten und sich auf eine unspezifische Art nach etwas sehnen, das ihnen die heutige Zeit nicht mehr zu geben scheint. Aber das wäre ein ganz eigener Artikel.
Pfarrer Andrew Schäfer zog in seinem letztjährigen Aufsatz für die EKD-Homepage eine interessante Parallele zu Paulus, der ja lange bevor 835 Papst Gregor IV Allerheiligen (von all-hallows-eve kommt nämlich der Ausdruck Halloween) einführte, mit mancherlei Untrieben und Traditionen in den von ihm betreuten Diaspora-Gemeinden zu kämpfen hatte. Er sollte sich z.B. mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Christ Fleisch essen dürfe, das aus den Tempelopfern stamme, wenn es ihm von einem Gastgeber angeboten werde oder wenn er es auf dem Markt einkaufe.
Paulus führt aus (Römer 14), dass man als Christ alle Freiheiten habe, solches Fleisch zu essen, dass diese Freiheit nur durch die Liebe eingeschränkt sei - z. B. durch die Liebe zu den Mitchristen.
Somit ist die Teilnahme am Halloween-Spektakel genauso wie die Teilnahme am Karnevalsumzug nicht unvereinbar mit protestantischer Lehre, es liegt vielmehr in der Verantwortung jedes Einzelnen, sein Verhalten, den Charakter dieser Feste für sich zu beurteilen und entsprechend zu handeln, das gilt auch für die persönliche Einstellung zu Corona, wobei unser Informationsstand hier um Jahrhunderte besser ist als der Luthers und es keine Rechtfertigung für Verschwörungstheorien gibt. Unsere Gemeinde hält es so, wir halten die Auflagen ein, bemühen uns um größtmögliche Sicherheit, lassen uns aber nicht davon abbringen, Gottesdienste zu feiern, Seelsorge zu betreiben und für morgen zu planen. Und wir entdecken auch Neues: Die Rückmeldungen zu den zunächst noch experimentellen Online-Gottesdiensten waren so positiv, daß wir auch nach Corona multimedial präsent bleiben werden.
Und das ist eben der Geist der Reformation, das Selbsterforschen, das Neuausrichten. Es bedarf keiner weltlichen Obrigkeit für das Gewissen und weltliche Obrigkeit kann ein Gewissen nicht ersetzen. Sola scriptura, solus Christus, sola fide sind die Ausrichtungsinstanz, mit der wir uns am Reformationstag befassen, heute weniger mit den Abgründen des Ablaßhandels, vielmehr mit unserer höchsteigenen Verantwortung.
Also: wenn es nächste Woche trotz Corona an der Türe schellt, und ein kleines Gespenst mit gruseliger ffp2-Maske über Süßes oder Saures verhandeln will, lassen Sie sich erweichen – die Kids haben wirklich Spaß dabei.
Die Geschichte wäre hier beendet, wenn da nicht der verflixte Kürbis wäre
Der Kürbis... ja der ist nicht Samhain, ist nicht mal Europa. Er ist eine amerikanische Adaptation der Legende von Jack-o-Lantern, übersetzt Lampenjohannes, der zufolge „Stingy Jack“ aka Johannes Altfeld, ein Geizhals und Säufer, den Teufel zweimal ausgetrickst haben soll. Und weil er zu sündig für den Himmel war, mit dem Teufel zuvor aber eine rechtsverbindliche Höllenausschlussklausel verhandelt hatte, musste Jack nach seinem Ableben fürderhin mit einer Kohle aus der Hölle und einer ausgehöhlten Rübe, seiner Wegzehrung, umherwandeln. Aber eben mit einer Rübe, nicht mit einem Kürbis. Von denen gibt’s in Amerika freilich sehr viele und sogar zur richtigen Zeit. So wurde die kleine Rübe -nicht ohne wirtschaftliches Kalkül- halt zum dicken und besser schnitzbaren Kürbis.
Bei uns ist der Kürbis eher dekorativer Exot, während die geernteten Zuckerrüben tonnenweise auf den Abtransport warten. Die Älteren unserer Region erinnern sich möglicherweise an einen Brauch, bei dem Kinder mit ausgehöhlten Zuckerrüben von Tür zu Tür gingen, Lieder sangen und Spenden einsammelten (nicht trick or treating sondern tatsächlich im Sinne von neudeutsch fundraising). Vielleicht sollten wir diese nette und sehr christliche Tradition in der Region wiederbeleben.
Autor: D.Hoffmann